Die Familie Andermann

Der dtv-Atlas Namenkunde enthält den Namen Andermann nicht.
Erwähnt wird der Name Angermann bei den Namen, die nach Wohnstätten gebildet sind.

Ich habe keine Vorstellung, wie der Name „Andermann“ entstanden sein könnte.
Herr Professor em. Dr. Hans Ramge schrieb mir dazu:
Andermann ist mit ca. 8 Telefonaschlüssen im Raum Gießen selten vertreten. Sein Vorkommensschwerpunkt liegt in Niedersachsen, im Kr. Nienburg (südl. Bremen), mit 41 TA (geogen). Die meisten Andermanns wohnen in Norddeutschland, aber es gibt auch eine Reihe südlich davon bis nach Bayern. Deshalb bin ich nicht sicher, ob der Name nur im Weserraum entstanden ist oder vielleicht auch an dem einen oder anderen (!) Ort.
Die Nachschlagewerke führen den Namen nicht auf bis auf Rudolf Zoder, Familiennamen in Ostfalen 1, S.164., der –mit Fragezeichen – als ersten Teil einen Personennamen (Andreas) oder einen Ortsnamen (Anderten) erwägt. Beide Vorschläge befriediegn nicht, schon aus sprachlichen Gründen.
Bereits 1266 ist ein Jacob Anderman in Halle belegt. Da müsste noch etwas vom PN oder ON zu merken sein. Meine erste Überlegung, den Namen als einen der nicht seltenen ‚an + der + Straße, Heide, ...‘ zu deuten, scheitert daran, dass das einzige in Frage kommende mhd. feminine Wort man ‚Mähne‘ bedeutet und ein Mensch schlecht *an der Mähne wohnen kann. (Er könnte höchstens eine haben.)
Deshalb kommt m.E. am ehesten das mhd. Wort ander in Frage, das im Mittelalter nicht nur ‚der Andere‘ bedeutete, sondern auch ‚der Zweite‘, ‚der Folgende‘ (Lexer, Mhd.Wb. 1, 55f.). Namengebend könnte also die Zweitgeburt oder die Ersatzfolge gewesen sein, die aus irgendwelchen (Rechts?)Gründen den ersten Namensträger charakterisierte.

 Die Familie Andermann erschien mir zuerst als die am schlechtesten dokumentierte Familie von allen alten Familien, die zu Beginn der KB, um 1652, in Lindes lebten.
Durch die Auswertung der Centgerichtsakten Lindes und der Vogteigerichtsakten Allendorf wurde die Familie aber dann, neben den "Eckhardt", zu der Familie, die am weitesten zurück in Lindes durchgängig belegt werden kann.

Aus den KB erwiesen ist Johann Melchior Andermann, der am 23.5.1660 in Lindes die Anna Catharina Lentz copuliert. Als Vater wird im KB 2, einer späteren Zusammenstellung von Pfarrer Hofmann nach den Vigelius Tagebüchern, Johannes Andermann angegeben.
Von Johann Melchior Andermann sind mindestens 4 verheiratete Söhne und 2 verheiratete Töchter bekannt; mindestens ein Sohn und eine Tochter sterben als Kinder.

Johannes Andermann wird bei Stumpf nicht genannt in Lindes, aber 1639 in der Kriegsschadensliste von Heymann.

In den Akten des Centgerichtes Lindes wird mehrfach Dönges Andermann genannt, einmal: Johannes Dönges oder Dönges Andermann.

Die weiteren Auswertungen ergaben dann, daß es eindeutig nur eine Person gab, die wechselweise Johannes Dönges, Johannes Andermann oder Dönges Andermann genannt wurde, und daß dieser "Vielbenamte" ein Sohn der sehr früh, vor dem 29.02.1584, verwitweten Donges Anna gewesen ist.
Er stirbt am 19.10.1659 in Linnes. Der Eintrag im Tagebuch des Pfarrers Vigelius lautet:
den 19. 8br. (1659) spricht Johannes Neidel von Lindes an, morgen Thönges Andermann, so diesen morgen zwischen 2.und 3.uhrn gestorben, LeichPredigt Zuhalten. Ist heut 8. tage Kranck war 81. oder 82. Jahr ungefehrlich alt.
den 20. 8br. (1659) habe ich Thönges Andermann Zu Lindes LeichPredigt gehalten aus Ecclesiasta II.v.8. Secund Bidemb. gab mihr gev. Johannes Neidel 15.alb. vnd habe ich den 23. hernach mahlZeit mit ihnen gehalten. DarZu auch noch am letzten meine Hausfraw von Giessen her kam.
Er ist demnach um 1578 geboren.
Er scheint spät geheiratet zu haben, denn er wird in den Centgerichtsakten noch 1628 Johannes, Dongiß Annen Sohn, genannt. Sogar 1630 und 1633 ist noch von Dongiß Annen Sohn die Rede.
Dies erklärt dann auch, warum er 1629 in der Einwohnerliste von Lindes noch nicht mit eigenem "Rauch" (Hausstand) genannt wird. Warum aber Donges Anna nicht wieder genannt wird, bleibt ungeklärt.
Die Vermutung, daß er identisch sein könnte mit dem nur 1629 in Lützellinden genannten Döngeß Andermann, und vorübergehend in Lützellinden gelebt hat, konnte bisher nicht bewiesen werden; wird durch die fortlaufende Nennung in den CGA auch eher wiederlegt.
Von Johannes Dönges Andermanns Frau ist bisher noch nichts bekannt.
Außer dem Sohn Johann Melchior ist noch die Tochter Anna bekannt, die Johannes Neydel aus Heuchelheim heiratet, aber mit ihm in Linnes lebt.

Donges Anna erscheint in der Wallsteuerliste von 1617 in Linnes mit einem Steuervermögen von 376 Gulden.
In den Listen der Centner aus Lindes, die Grundstücke im Bann des Centgerichts Lindes haben, erscheint sie schon 1581 als Petters Johannes dunges w(itwe), wobei das "Witwe" später nachgetragen ist. Als Peters Johannes Donges Witwe erscheint sie in allen Listen bis 1588; später wird sie bei Rügen am Centgericht auch einfach nur Donges Anna genannt.
Donges Anna, aller Wahrscheinlichkeit nach eine Tochter von Peter Christen in Leihgestern, (nach Akten des Vogteigerichts von Montag nach Quasimodogeniti 1583 lebt ihr Mann, Hanns Donges Zum Lindes genannt, zu diesem Zeitpunkt noch und vertauscht sofort sein durch sie ererbtes Vogtgut mit seinem Bruder Hanns Peder zu Leygestern) war eine relativ begüterte Witwe in Linnes und es bleibt unklar, warum sie nicht wieder geheiratet hat. Sie wird bis 1635 in den Centgerichts-Akten genannt.

Der früh verstorbene Peters Johannes Donges ist mit Sicherheit ein Sohn von Peters Johannes, der in den Centgerichtsakten 1558 und 1574 in zwei Prozeßen und 1564 und 1565 bei den Gerügten genannt wird. In der ersten erhaltenen Liste der Centner von 1578 wird er nicht mehr genannt.
1581 erscheinen in den Listen dann seine Söhne Peters Johannes dunges (Witwe, nachgetragen) und Peters Johannes Peter in Leihgestern, der dort bis 1588 als Center des Centgerichts Lindes genannt wird. In den Einwohnerlisten bei Stumpf und im Vogteigericht Allendorf, siehe oben, wird er Hanns Peter oder Peters Hanß genannt. Möglicherweise nennt er sich später, ab 1594, Peter Andermann. Dieser wird nur bei Dr. Faber nach den Kirchenkastenrechnungen in Leihgestern genannt wird.
Peters Johannes hat noch eine Tochter Enchen, die mit Josten Hanß verheiratet war, aber auch am 29.02.1584 schon verstorben war. Auch Peter zum Lindes, der am 13.08.1584 in Gießen begraben wird, und Bürger in Gießen war, wird als Bruder von Josten Hanßen verstorbener Frau Enchen und von Donges genannt, muß also auch ein Sohn Peters Johannes sein. Der ebenfalls ab 1581 genannte Petters Enders, der ab ca. 1583 auch in Leihgestern lebt, ist vmtl. auch noch ein Sohn von Peters Johannes.

Peters Johannes ist 1558 als Erbe des verstorbenen Petter Andermann Beklagter in einem langen Prozeß, in dem es um die Rückgabe von geliehenem Centgut an die Erben von madeß bieraug in gießen geht. Das Centgut war anscheinend siebenzig Jahre verliehen und nun wollen es die Erben aus Gießen wieder selbst in Besitz nehmen. Es läßt sich aber nicht mehr, oder zumindest nicht sofort, feststellen, wie groß es war und wo es genau lag.
Dabei beschwert sich Petters Johanneß erfolgreich, daß er allein Beklagter ist, da das Erbe von Petter Andermann doch gütlich zwischen ihm und seinen geschwistern vndt schwegern aufgeteilt wurde; einmal ist von 3 weiteren Erben die Rede.

Demnach ist aber Petter Andermann, der 1558 schon verstorben war, der Stammvater der Andermann.
Die Geschwister seines Sohnes Petters Johanneß konnten noch nicht festgestellt werden.
Der Name Andermann verschwindet dann erst einmal, scheint aber in Erinnerung geblieben zu sein, denn nach zwei Generationen, in denen die Namen in der alten Form, an das noch heute in Island gültige Namensrecht erinnernd, gebildet werden (Petterß Johanneß als Sohn von Petter Anndermann und als Vater von Peters Johannes Dunges), benutzt Donges Johanneß als Sohn von Peters Johannes Donges den Namen Andermann wieder. 

Bei Stumpf, Seite 287, wird in der Leibeigenbedeliste 1629-1634 in Lützellinden Döngeß Andermann, Heimburger, genannt. Sonst gibt es keine Andermann in den Steuerlisten von Lützellinden.
Stumpf, Seite 237ff, nennt in Leihgestern erstmalig 1620 Peter Andermann. (Der Vorname Peter ist auch bei den Linneser Andermann recht häufig und es kann als relativ sicher angenommen werden, daß diese Familie aus Linnes stammt.)
1629-34 wird wieder kein Andermann in Leihgestern genannt, 1640 Christ Andermann 2x ,1x lg.
1660 werden Christ & Johann Peter Andermann genannt.
Diese Andermann nennt auch Dr. Faber in Leihgestern, wobei er eine Generationenfolge von Peter I. über Christ I. und Christ II. zu Peter II. angibt. Des Letzteren Sohn Johann Adam, Kirchensenior, wurde am 25.03.1659 in Leihgestern getauft.

Das Hüttenberger Namensbuch von Heinz-Lothar Worm brachte auch keine weitergehenden Erkenntnisse.
Das FB Gießen von Otto Stumpf nennt keine Andermann, ich habe auch keine bei den Auswärtigen gefunden.
Bei Friedel Lerch "Die Giessener Familiennamen bis 1600" findet sich der Name Andermann nicht. Dies hat mich in der Annahme bestärkt, daß der 1558 ohne weitere Herkunftsbezeichnung genannte Petter Andermann in Lindes gelebt hat. Zu allen anderen Orten, aus denen Centner des Centbanns Linnes kamen, gibt es im 16. Jahrhundert die Steuerlisten bei Otto Stumpf.

Die Linneser Andermann waren lange ziemlich zahlreich, meines Wissens ist der Name heute in Linnes ausgestorben, existiert aber weiter als Dorfname.
Das Telefonbuch Gießen nennt noch einen Andermann in Gießen und einen in Lützellinden.

In Linnes waren die Andermann immer wieder Soldaten. Erstmalig wird Balthasar Andermann, Johann Melchiors Sohn, beim Tod seiner Frau am 6.4.1708 (#) als Militz Soldat bezeichnet, leider ist der lange Eintrag im KB 1 Großen-Linden kaum zu entziffern. (Ich bin jedem dankbar, der mir diesen Eintrag vollständig entziffern kann). Ein Versuch:

den 6t. April ließ Johany balthasar andrmany Ein Lidrlr (liederlicher) u. v(er)soffner u. aus Landaw(oder Landau) gelaffner Militz Soldat, auch groser V(er)ächter gottes worts u. seiner Heil. Sacrament, die Er in 8. od. 9. Jahr schändl(ich) v(er)achtet und nicht sond(e)rl(ich) S. Colran(???) darinnen gwieß(en) woll(en) widr all Ermahnung daZu, sein weib Catharinam begrab(en). so _____ (leer) Jahr alt geweß(en).

Auch der erste Andermann, der für mich direkter Vorfahre ist, Johann Henrich, 1746-1824, war Musketier im Leibregiment in Pirmasens. Wenn sie hier klicken, können Sie seinen Urlaubs-Pass ansehen, der am 26. Mai 1777 in Pirmasens ausgestellt wurde, und der ihn berechtigte, nach "Klein Linnes" zu reisen.

Die Andermänner, die außer der Landwirtschaft bevorzugt das Schreinerhandwerk ausübten, scheinen des öfteren schon mal widerspenstig gewesen zu sein.

Ein Andermann wird 1719 auf Consistorial Befehl zu Lindes aufgesucht und alß Er zur Stelle gebracht worden ist Er als bald in seinem Kittel mit ...  im beysein des Hn. Ambtsschultheißen und derer Vorsteher copuliert worden.
Seine Frau leistet am 23.08.1720 Poenitenz, er aber ihr Mann bleibt widerspenstig und leistet erst am 29.11.1720 seine Poenitenz.

Ein weiterer Andermann versucht 1838 einen nett-dreisten Betrug, der zu folgender Randnotiz im Kirchenbuch führte: Das hier neben stehende Protokoll mußte wegen einer vom Vater des Kindes gemachten und am Schlusse entdeckten falschen Angabe in Beziehung auf die Mutter und deren Verhältnis zu ihm für ungültig erklärt und auf der nächstfolgenden Seite den wahren Verhältnissen gemäß neu aufgenommen werden.
Er hatte seine längst verstorbene Ehefrau beim noch neuen Pfarrer als Mutter eines Kindes angegeben, das er in Wirklichkeit mit deren Schwester gezeugt hatte.

Aber auch ein Pastori Knecht und ein Ortsdiener sind unter den Andermännern zu finden.

M. W. bisher noch nicht vollständig erforscht sind die Nachkommen des 1711 in Linnes geborenen Johann Peter Andermann, der ab 1742 Müller in Emmershausen war, wo er auch am 13.12.1761 starb.