Sie dürfen nicht vergessen werden - Aus Linnes stammende von den Nazis Ermordete und Verfolgte   

Und dieser Verdrängungsprozeß zieht sich ja wie ein roter Faden durch die Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik. Dazu zählen beispielsweise die viel zu spät begonnenen, zögernd eingeleiteten und dann oft mit nur geringen Strafen oder gar Freisprüchen endenden Prozesse gegen Naziverbrecher oder das skandalöse Verhalten des ehemaligen Ministerpräsidenten Filbinger, der seine Blutrichtertätigkeit mit dem bezeichnenden Ausspruch garnierte, was damals Recht gewesen sei, könne heute kein Unrecht sein.
....
In diesen komplexen Vorgang der Verdrängung gehören natürlich auch die ebenso haarsträubenden wie unangemessenen Gleichungen, wie etwa Nazi-Vernichtungslager = Gulag, ein in Dresden verbrannter Deutscher = den in Ausschwitz verbrannten Juden oder Faschismus = Bolschwismus oder auch die gegenwärtig wieder zunehmende Tendenz, Rechtsextremismus zu verharmlosen.

In diesen Chor der Verdränger, Verfälscher und Verharmloser haben natürlich auch führende Politiker immer wieder kräftig eingestimmt. Exemplarisch dafür sind Dreggers Ruf nach dem "Heraustreten aus der Geschichte", Kohls dümmlicher Ausspruch von "der Gnade der späten Geburt", Stoibers simplifizierende Feststellung, daß Nationalsozialisten eben "in erster Linie Sozialisten und Kollektivisten" gewesen seien und Geißlers die Opfer offen verhöhnende infame Behauptung, die Pazifisten hätten Hitlers Machtübernahme und damit den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mitzuverantworten.

Diesen klaren Worten aus dem von Prof. Dr. Erwin Knauß am 08.05.1987 gehaltenen Vortrag Widerstand in Gießen und Umgebung 1933 - 1945, hier zitiert nach MOHG, Band 92, 2007, Seite 19f, kann ich aus meinem Wissen, daß schwerst "krankhafte" sozialpsychologische Schrecklichkeiten, wie individualpsychologische Fehlentwicklungen und Störungen, nur durch die rückhaltlose aufdeckende Beschäftigung mit den Ursachen zu bearbeiten und dadurch für die Zukunft zu verhindern sind, heute noch eine Forderung anfügen:
Eine Aussage, die sich mit den Greueltaten der Nazis beschäftigt, darf niemals mehr das Wort "aber" enthalten.

Sätze wie
Hitler war schlimm, aber Stalin .... / ..., aber die Bombardierungen ... / ..., aber die Vertreibungen....
Die Nazis waren furchtbar, aber es war doch nicht alles schlecht ....

All diese Sätze, die allein der Verleugung und Verdrängung dienen, sind leider bis heute immer noch lautstark zu hören.
Die Propaganda der faschistischen Mörder wirkt in eindeutig falschen Aussagen
..., aber die Kriminalität war viel niedriger ...
..., aber Frauen waren auf der Straße sicher ...
bis heute fort; und wer bereitwillig daran glaubt, dem bleiben schmerzhafte Tatsachen erspart.

Merkwürdigerweise wird besonders in bestimmten "christlichen" Kreisen heute immer deutlicher die erste der obigen Varianten benutzt: Verleugung durch Relativierung der "Schuld" - als hätten diese "Christen" niemals etwas von Balken und Splittern in den Augen gehört.


Wenn wir eine Wiederkehr der Greueltaten verhindern wollen, dürfen die Opfer niemals vergessen werden:

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Geboren 1916 in der Hintergasse in Linnes; ermordet 1941 in der Psychiatrie in Hadamar

Anna Marie Markel
wurde am 02.07.1916 in Linnes geboren, am 16.07. hier getauft. Sie ist auf dem Konfirmationsbild von 1930 zu sehen.
Sie ist also mit meiner Mutter zusammen in die Schule gegangen und konfirmiert worden.
Von ihrer Ermordung in der Psychiatrie in Hadamar erfuhr ich aber zuerst von einem Nachbarn.


Frau Maria Markel, geb. am 02.07.1916, wurde am 26. August 1939 in die Landesheilanstalt Giessen aufgenommen. Am 21. Februar 1941 wurde sie in die Landesheilanstalt Weilmünster (Damals "Zwischenanstalt" für die Tötungsanstalt Hadamar) verlegt. Von dort gelangte sie in einem Transport mit 87 weiteren Patienten am 20. März 1941 nach Hadamar. In der Regel wurden die Patienten eines solchen Transports noch am Tag der Ankunft in die im Keller der Anstalt befindliche Gaskammer geschickt und ermordet. Der 20. März 1941 ist daher als der Todestag von Frau Markel zu betrachten. Das damals offiziell mitgeteilte Todesdatum wurde falsch angegeben, um Angehörige und Behörden zu täuschen. 
[Aus dem Antwortschreiben der Gedenkstätte Hadamar an Frau Rita Rohrbach.] 

Im Spätherbst 2007 las ich in der Gießener Allgemeinen über die Initiative "Stolpersteine".
Ich hoffe, daß für Frau Markel ein solcher Stolperstein in der Hintergasse gesetzt werden wird.
Unterstützung für diesen Wunsch fand ich durch Vermittlung von Herrn Peter Schlagetter-Bayertz bei Frau Petra Rohrbach.

Am 12. Februar 2009 wurde der Stolperstein für Frau Markel vor dem Haus in der Weigelstraße 3 gesetzt.
Dabei waren, unter den gut 50 Teilnehmern, die beiden noch lebenden Nichten von Frau Markel anwesend.
Verlauf der Gedenkfeier:

1. Ansprache Hartmut "Tünn" Klein, Mitpate:

Anna Marie Markel wurde am 2. Juli 1916, soweit mir bekannt ist, in diesem Haus geboren. Ihre Eltern waren Heinrich Markel und Marie, geb. Schreiner. 
Sie hatte noch 4 ältere Geschwister, von denen 3 früh verstarben. Nur die Schwester Emmy Marie Margarethe gründete eine Familie, sie heiratete Wilhelm Weller. 
Am 16. Juli wurde Anna Marie von Pfarrer Bröckelmann getauft.
Am 21. April 1930 wurde sie von Pfarrer Bremmer konfirmiert – zusammen mit meiner Mutter.
Frau Markel wurde am 26.08.1939 in der Heil- und Pflegeanstalt Gießen  aufgenommen,
am 21.02.1941 nach Weilmünster verlegt und von dort am 20.03.1941 nach Hadamar gebracht und direkt ermordet.
Im Kirchenbuch ist der 01. April 1941 als "offizielles" Todesdatum eingetragen. 

Dies sind die sogenannten Fakten, die uns zu Frau Markel bekannt sind.

Es war nicht meine Mutter, die mir von der Ermordung ihrer Schulkameradin erzählte, sie hat darüber nie mit mir gesprochen.
Zum ersten Mal hörte ich von meinem Nachbar Willy Otto etwas über das Schicksal von Frau Markel.
Als Dr. Steglich, dessen Praxis sich damals in Linnes in der Hügelstraße befand, 1980 ärztlicher Direktor in der Psychiatrischen Klinik Hadamar wurde, erfuhr ich erstmalig Näheres über die Tötungsanstalten, in denen psychisch Kranke systematisch ermordet wurden.
Er war einer der Ersten, der das Schweigen brach und die Auseinandersetzung der Psychiatrischen Klinik Hadamar mit ihrer Vergangenheit einforderte – was ihm damals noch erhebliche Schwierigkeiten einbrachte.

Ich möchte hier nur kurz ansprechen, warum ich wollte, daß dieser Stolperstein gesetzt wird.
Deutschland hatte sich nach der Weimarer Republik vom Volk der Dichter und Denker in ein grausames und unmenschliches Volk der Richter und Henker verwandelt.
Immer wieder, so auch von meinem Vater und vielen anderen sogenannten Mitläufern, habe ich auf meine Fragen, wie es zu den bis dahin unvorstellbaren Verbrechen der Nazis gekommen ist, gehört, daß sie alle „doch nur ihre Pflicht“ getan hatten.
Schon recht früh wollte ich verstehen, wie aus „netten, normalen“ Menschen, solche Verbrecher werden konnten. 
Mein Fazit dieser Suche lautet:
Es gibt leider nur wenige Menschen, die in der Lage sind, Macht, die sie haben, nicht zu mißbrauchen.
Fast in jedem von uns steckt der „Blockwart“, der – wenn ihm die Macht dazu in die Hände gegeben wird – seine Nachbarn kontrollieren, denunzieren und auch mißhandeln wird.
Fast jeder von uns sieht weg und geht schnell weiter, wenn er mit Gewaltausbrüchen in der Öffentlichkeit konfrontiert wird.

Das sogenannte Dritte Reich ist nicht als Strafe des Himmels über uns gekommen, auch nicht vom Teufel nach Deutschland gebracht worden – Faschismus und all seine Greuel sind hier bei uns erdacht und gemacht worden.
Die Nazis sind nicht als fremde Horden bei uns eingefallen, sie waren und sind Teil von uns.

Es ist darum notwendig, daß dieser Stolperstein für Frau Markel gesetzt wird, als Erinnerung an eine ermordete junge Frau – aber auch als Erinnerung und Mahnung an das, wozu unsere Eltern fähig waren.
Und es darf sich ruhig jeder der hier Anwesenden fragen, wo er heute stände, wenn die sogenannten „Tausend Jahre“ noch nicht um wären.
Mögen die Aktion Stolpersteine und viele andere Formen einer nicht mehr verdrängenden und verleugnenden Erinnerung die Auseinandersetzung mit dem Schrecklichen und Ungeheuerlichen in uns weiter bringen.
Dieser Stein verkörpert für mich die Hoffnung, daß ein Leben ohne Angst und in Freiheit in Linnes, in Deutschland und in der Welt irgendwann einmal möglich sein wird – wenn wir alle daran arbeiten.  

2. Ansprache Rita Rohrbach, Mitglied im Inner Wheel Club Gießen-Wetzlar, ein Verein von Frauen, die eine Mitpatenschaft für Anna Marie Markel übernommen haben:  

Frau Rohrbach informierte in ihrer Ansprache allgemein über die "Euthanasie" der Nazis und über das Schicksal von Frau Markel im Besonderen. Der schriftliche, nicht wörtlich vorgetragene, Text lautete:

Der Weg Anna Marie Markels in den Tod

Mit Erlass vom 9.10.1939 hatten alle Heil- und Pflegeanstalten die Pflicht, solche Patienten zu melden, die als unheilbar oder nicht mehr als arbeitsfähig galten. Dieses waren in der Regel Schizophrene, Epileptiker, kriminelle Geisteskranke, Menschen mit Demenz, andere Langzeitkranke und Menschen so genannten artfremden Blutes wie Juden, Sinti und Roma.

Aufgrund dieses Erlasses wurde Deine Akte, Anna Marie Markel, aus der Heil- und Pflegeanstalt Gießen weiter gesandt.
In einer Villa in Berlin in der Tiergartenstraße 4 wurde die 1939 begonnene so genannte Kinder-Euthanasie auch auf Erwachsene ausgeweitet. Minister und leitende Angehörige des Innenministeriums trafen sich mit Ärzten und legten fest, dass 70 000 Patienten in Anstalten ermordet werden sollten. Das Ziel der T4-Aktion, so genannt nach dem Treffpunkt Tiergartenstraße 4: Die Ausrottung von Erbkrankheiten und die Kostensenkung von Pflegeanstalten.

Dieser Beschluss von Ministern und Ärzten führt dazu, dass Deine Akte, Anna Marie, begutachtet wird. 
Deine Akte wird an drei Vorgutachter gesandt. Diese lernen Dich nicht kennen, sie untersuchen dich nicht. Sie entscheiden aufgrund der Aktenlage: Ein rotes Plus für Vernichtung. Ein blaues Minus für Weiterleben, ein Fragezeichen für Unsicherheit. Danach erhält der Obergutachter deine Akte und vermerkt sie mit einem roten Plus.

Wie sieht dein Leben und das deiner Mitpatienten in dieser Zeit in der Heil- und Pflegeanstalt in Gießen aus?
Gießen war zu dieser Zeit ein Zentrum der Erb- und Rassenpflege. In der Anstalt wurde eine psychiatrische Beobachtungsstation der Waffen-SS eingerichtet. Die Anstalt war überbelegt. Die Patienten wurden aus Kostengründen vernachlässigt. Die Sterberate war hoch. Die Anstalt wurde zudem als Sammelstelle für Menschen, deren Todesurteil gesprochen war, ausgebaut.

Von Januar bis März 1941 werden 265 Menschen aus Gießen nach zur Ermordung gebracht, darunter bist auch Du.
Du wirst wie viele andere auch nicht sofort nach Hadamar gebracht, sondern zuerst in die Landesheilanstalt nach Weilmünster im Taunus. Warum? Solche Umwege waren üblich, zum Teil, weil die Tötungsanstalten gerade überlastet waren, zum Teil, um die Angehörigen, die dich besuchen wollen, die dich dann vielleicht auch suchen und dich nach Hause holen möchten, in die Irre zu führen. Der Weg in den Tod soll vertuscht werden.
Ein Bus, dessen Scheiben mir Ruß zugeschmiert waren, bringt dich von Weilmünster nach Hadamar, eine von sechs Tötungsanstalten. Die Menschen, die den Bus durch Hadamar fahren sehen, ahnen, was passieren wird und wenden sich ab.
In einem Schuppen wirst du noch einmal kurz begutachtet. Dir werden die Kleider genommen und du wirst in die Gaskeller gebracht. Welche Angst, welche Verzweiflung, welches Grauen du empfunden hast, können wir Lebenden uns heute nicht vorstellen.

Deine Angehörigen erhalten eine Nachricht über deinen Tod, dies war damals so üblich. Dein Tod wurde mit einer fiktiven Krankheit erklärt, zum Beispiel einer Lungenentzündung. Auch eine Todesurkunde wurde deinen Angehörigen übersandt.

In Hadamar halten die Menschen die Luft an und hängen ihre Wäsche nicht mehr draußen auf. Sie ahnen und wissen, dass Ermordete in einem Krematorium verbrannt werden. Einzelne kirchliche Würdenträger wie der Bischof Graf Galen protestieren und die Tötungen werden für einige Zeit eingestellt. Danach gehen sie weiter, aber nicht mit Gas, sondern durch die Spritze oder durch Verhungernlassen. Ermordet werden jetzt auch kranke Fremdarbeiter, Nervenkranke aufgrund von Bombenangriffen, traumatisierte Soldaten und so genannte Mischlingskinder.
Die Opferzahlen sind nur am Rand wichtig und ohnehin unfassbar.
Für uns bist du wichtig, Anna Marie Markel. Deiner wollen wir heute gedenken.

3. Musikstück "Sarabanda", auf der Flöte vorgetragen.

4. Gedenken durch Pfarrer Landig. 

Wir gedenken heute bei dieser Stolpersteinverlegung  Anna Marie Markel. Wir gedenken einer Frau, die ermordet und Opfer eines menschenverachtenden Handelns wurde. Wir hören einen Namen und eine Lebensgeschichte, dahinter stehen unzählige weitere Tote und unzählige weitere Lebensgeschichten. In unserem Gedenken darf nicht vergessen werden, dass Verfolgung, Mord, Folter und Unterdrückung keine gesichtslosen Naturgewalten sind. Für jede Unterdrückung, für jede Folter, für jede Beurteilung einer Aktenlage, die über Tod und Leben entschied, für jeden Mord gibt es einen Menschen, der das getan, veranlasst und daran mitgewirkt hat, und Schuld auf sich geladen hat.

Dieser Stolperstein nötigt uns nicht über die Opfer und deren Schicksale hinweg zu gehen und zu sehen. Er nötigt uns aber auch den Kopf zu senken und zu bekennen, dass jeder von uns in der Gefahr steht zum Täter zu werden. Denn es sind ja nicht nur diese Opfer von damals, bis zum heutigen Tage werden Menschen zu Opfern.  Wir brauchen diese Mahnung, damit wir unruhig werden, damit wir in unserer alltäglichen abgestumpften Wahrnehmung ins Stolpern kommen.

Denn Frieden und Gerechtigkeit, Achtung vor dem Leben und der Würde des anderen sind längst zur Überlebensfrage unserer Welt geworden. Man kann zwar so tun, als ginge einen das nichts an. Aber durch Verdrängen wird die Missachtung und die Gewalt zwischen Menschen und Völkern nicht verändert. Sondern wir müssen Hinschauen, Wahrnehmen und ein offenes Bekenntnis wagen gegen alle Anfänge der Menschenverachtung und Gewalt.
Wir brauchen dieses Gedenken als ein Stück unserer Kultur. Einer Kultur, die stark macht Ideologien zu misstrauen und die Würde des Menschen bedingungslos zu achten.

Ich lade Sie ein mit mir zu beten:

Du unser Gott
Wir denken heute an Anna Maria Markel,
sie lebte hier in Kleinlinden, gehörte in unser Dorf.
Sie hatte Freundinnen und Freunde, Verwandte und Nachbarn.
Sie wurde krank und andere verurteilten sie zum Tode

Wir denken an all die anderen Opfer, die
Gefoltert, verfolgt und ermordet wurden,
deren Namen vielleicht einigen bekannt sind
die aber vielfach namenlos in Vergessenheit gerieten

Gott unendliches Leid, Angst und Verzweiflung können wir erahnen,
wenn wir die Augen öffnen und Spuren suchen.
Wir bitten dich um Klarheit und Offenheit,
dass wir Leid und Unrecht, Gewalt und Mord sehen
und beim Namen nennen,
dass wir hart an einer Kultur des Erinnerns arbeiten
und Mut gewinnen jeder Menschenverachtung heute entgegen zu treten.

Gott wir bitten Dich um die Kraft Schuld beim Namen zu nennen und zu bekennen.
Denn nur so können wir einen Ausweg aus dem Teufelskreis von Missachtung und Gewalt finden.

Gott, wir bitten um unbequeme Wachsamkeit und den Mut zum lauten
Widerspruch, wenn kranke Menschen als ökonomische  Belastung gesehen werden
und die Rede vom Lebensunwerten Leben wieder durch die Diskussionen geistert.


Wir bitten um Achtung und Gerechtigkeit in unserem Land, in unserer
Gesellschaft zwischen Armen und Reichen, zwischen Einheimischen und Fremden
zwischen den Religionen. Behüte vor Selbstüberschätzung und Intoleranz.

Jede und jeder von uns fängt im Kleinen an Sorge zu tragen für eine Welt in
der auch unsere Kinder und Enkelkinder leben können.

Dazu segne und ermutige uns Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist.

Amen

5. Steinlegung durch den Künstler Gunter Demnig und Niederlegung von Blumen.

             
                                 

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Mit Bewunderung blicke ich auf Herrn Otto Etzel, der auch in der Zeit des Terrorregimes seinen Überzeugungen und seinem Glauben treu blieb und Gestapo- und KZ-Haft zu erdulden hatte, weil er jüdischen Mitbürgern half.
[Den vollständigen Text von Frau Friede Etzel-Franz zur Familie Etzel finden Sie bei "Linneser Familien".]

                              Zum Gedenken an unseren Großvater
                                                    Otto Etzel
* 24.03.1880 in Ingelfingen
(Königreich Württemberg)  † 03.02.1968 in Kleinlinden

“Gott muss man  mehr gehorchen als den Menschen“ (Apostelgeschichte 5, Vers 29)

Otto Etzel war ein aufrechter Christ. In den Zeiten des Nationalsozialismus stand er fest zu seinem Glauben.

So hielt er während der gesamten Nazizeit engen Kontakt zu jüdischen Mitbürgern aus Gießen und der Umgebung. Immer wieder unterstützte er sie mit Gemüse, Obst, Milch und Fleisch aus seiner kleinen Landwirtschaft. Dabei wurde er von der Gestapo “erwischt“ und auf der Stelle verhaftet. Über die Gestapogefängnisse Gießen und Darmstadt kam er im November 1942 in das Konzentrationslager Dachau. Dort verblieb er bis März 1943.

Nach dem Krieg war es Otto Etzel ein großes Anliegen, die Menschen vor dem Vergessen zu bewahren und sie an die Einhaltung von Gottes Geboten zu erinnern. 

In seiner Aufrichtigkeit und seinem Mut ist uns unser Großvater ein Vorbild.
Für Kleinlinden war er ein mutiger Bürger, der in schweren Zeiten für seine Überzeugung eingestanden ist.
 

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Wilhelm Lenz, geboren am 16. März 1897 in Linnes, lebte in Wieseck.
Er war Landtagsabgeordneter der KPD und mit Beginn der Naziherrschaft, bis zu seiner Verhaftung, im politischen Widerstand aktiv.

MOHG, 71. Band, Giessen 1986; Seite 78:
Die härteste Verfolgung hatte der prominenteste Verurteilte unter den Angeklagten vom November 1935 durchzustehen:
Wilhelm Lenz, 1897 geboren, also damals mit 38 Jahren älter als fast alle anderen Verurteilten. Er war kommunistischer Landtagsabgeordneter gewesen und deshalb dem Haß der Nazis besonders ausgesetzt. Wie seine Tochter bestätigte (Interview mit Frau We. vom 1.9.1986.), hörten die Haussuchungen und Kontrollen in den Jahren 1933 bis 1935 nicht mehr auf. Es konnte Wilhelm Lenz schließlich der Besitz eines Flugblattes nachgewiesen werden, was zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren in Rockenberg führte. Seine Tochter war noch geistesgegenwärtig genug gewesen, bei einer Hausdurchsuchung belastendes Material in ihren Schulranzen zu stecken und es mit der Begründung, sie müsse zur Schule, während der Durchsuchung außer Haus zu schaffen. Wilhelm Lenz wurde nicht wie andere nach der Haft 1938 auf freien Fuß gesetzt, sondern sofort nach Buchenwald gebracht, wo er noch bei seiner Befreiung im April 1945 einsitzen mußte. Eine Zeitlang mußten die Gießener ...... die Haft mit ihm teilen. Sie berichteten übereinstimmend von seiner ungebrochenen Haltung trotz der langen Verfolgung. Bezeichnend ist im Falle Lenz die Entscheidung für die Überführung nach Buchenwald: Ortsgruppenleiter Euler erklärte, er sei für die Gemeinde
[Wieseck] nicht tragbar, und daher sei seine Rückkehr unerwünscht. Dies bedeutete, wie wir bereits beim Thema "Judenverfolgung" nachgewiesen, die versteckte Aufforderung zur Tötung. 
Zitiert aus: Kurt Heyne: Widerstand in Gießen und Umgebung 1933 - 1945; 3.2.2.3.3. Schicksale von KP-Gruppen bis 1937.

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In der genannten Arbeit von Kurt Heyne heißt es auf Seite 109f (3.3. Das Konzentrationslager Osthofen):
Unser Zeitzeuge Walter Deeg hat es einmal unternommen, aus der Erinnerung und der Mitgliederkartei der VVN von 1947 einen Teil der Namen aufzuschreiben, die aus Stadt- und Landkreis Gießen damals im KZ Osthofen waren:
1933/34 waren im KZ Osthofen:
[Als 8. unter 27 Namen findet sich:]
August Weller, Gießen-Klein-Linden                  Juli/August 1933   

Viele dieser Häftlinge waren Kommunisten, aber auch Sozialdemokraten wie Josef Maier und Albin Mann [1946-48 Oberbürgermeister in Gießen] befanden sich ebenso darunter wie Gewerkschaftler und parteilich nicht Gebundene.   

Wer kann mir etwas über Herrn August Weller erzählen?  

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Einen kleinen Einblick in die Verfolgung Andersdenkender schon im Mai 1933 geben die beiden Sozialdemokraten Karl Volk und Erwin Watz in ihrer Geschichte der Arbeiterbewegung in Kleinlinden.
 

Ich würde mich freuen, wenn ich hier noch weitere Linneser in ehrendem Andenken nennen könnte und bitte deshalb um Hinweise.

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Sehr erschreckend finde ich, daß der Ungeist der Naziverbrecher auch heute noch in manchen Hirnen herumspukt; auch wenn es sich im hier dokumentierten Fall um einen "Einzeltäter" handelt.
Hier zitiert nach Amadeu Antonio Stiftung im Internet;
Chronik antisemitischer Vorfälle 2007: 

Gießen (Hessen)
Jüdischer Küster angegriffen

Ein Mann hat den jüdischen Küster der evangelischen Gemeinde im Gießener Stadtteil Kleinlinden (Hessen) am 3. November mit den Worten »Judenschwein, raus aus Deutschland« beschimpft und auf ihn eingeschlagen. Der Küster wurde verletzt und musste im Universitätsklinikum behandelt werden. Nach Informationen des Gießener Anzeigers wurde er nicht zum ersten Mal angegangen. Es soll auch eine Morddrohung gegeben haben. Bereits Mitte Oktober hatte der Mann Anzeige erstattet. Der Pfarrer der Gemeinde erklärte dem Gießener Anzeiger, es handele sich »um das Problem einer Person und nicht einer Gruppe oder irgendeiner Bewegung«. Ein Streit zwischen Nachbarn sei vorausgegangen.
(Jungle World, 15.11.2007)

Leider setzte sich diese furchtbare Sache auch in 2008 fort.
Erfreulich ist aber, daß am 17.09.2008, nachdem dieser Täter allgemein antisemitische Parolen und persönliche, gegen den Küster gerichtete, Beleidigungen an die Kirchentür geklebt hatte, eine von der Evangelischen Kirchengemeinde initiierte
                           Mahnwache für den Frieden in Kleinlinden 
sehr gut besucht war.
Ich wünsche mir, daß die folgenden, aus dem Begleitblatt zur Mahnwache zitierten, Sätze für alle Linneser Gültigkeit haben:
Was wir wollen:
- Wir stehen dafür, dass alle Menschen in Kleinlinden ohne Angst und Bedrohung leben können.
- Wer angegriffen, verletzt, verleumdet oder bedroht wird kann mit der Unterstützung der Mitbürgerinnen
   und Mitbürger in Kleinlinden rechnen.
- Wir wollen die Kultur gegenseitiger Achtung und Toleranz in unserem Zusammenleben in Kleinlinden verteidigen.
- Wir verurteilen jeden Versuch durch antijüdische und volksverhetzende Äußerungen Unfrieden und Hass in Kleinlinden zu säen.